Carl Amery

Carl Amery

Kulturelle Aufklärung und politische Ökologie bei Carl Amery

Carl Amery, am 09. April 1922 in München geboren und am 24.05.2005 in München gestorben, war ein vielseitiger bayerischer Schriftsteller, der sich durch viele zeit- und gesellschaftskritische Bücher und Essays seit den 1960-er Jahren einen Ruf als Linkskatholik und später aufgrund seiner tiefschürfenden Bücher zur Umweltkrise und zum Totalen Markt den Ruf als Fundamentalkritiker des westlichen Kulturentwurfs erwarb. Amery entstammte einer Historikerfamilie, studierte Sprachen und Literaturwissenschaften und verfügte über eine heute selten gewordene universalistische Bildung. So sah er die Umweltkrise im Kontext der historischen Erfüllung zentraler jüdisch-christlicher Aufträge und Erwartungen, die sich im Selbstverständnis der Menschen der heutigen Wachstums- und Konsumgesellschaft unschwer dokumentieren lassen:

Mithilfe der Marktwirtschaft befindet sich die Menschheit auf dem Weg zu immer mehr Wohlstand für immer mehr Menschen und der fortlaufende Fortschritt in den technisch-wissenschaftlichen Möglichkeiten, die Natur immer besser zu beherrschen und für die Zwecke der Menschen nutzbar zu machen, wird zu einer immer schöneren, bequemeren, sichereren und gesünderen Zukunft führen. In den fortgeschrittenen reicheren Gesellschaften lebt der von allen religiösen, natürlichen und monetären Beschränkungen befreite und wirtschaftlich erfolgreich gewordene Mensch im Bewusstsein, über unendlich viele Möglichkeiten zu seiner Selbstverwirklichung zu verfügen, deren umfassende Wahrnehmung für ihn zum Sinn des Lebens geworden ist.

Der Fortschritt der Menschheit beruht tatsächlich auf dem totalen Erfolg, sich die Erde untertan zu machen. Aber die ausschließliche Fixierung auf die Interessen der Menschen und das Ausblenden der vielfältigen Abhängigkeiten des Menschen von den biosphärischen Lebenskreisläufen – man nennt das Anthropozentrismus – macht den totalen Erfolg der Menschheit zur zentralen Ursache für die totale Umweltkrise. Und so stellt Amery sich bereits im Jahre die 1972 die schmerzliche Frage: „Ist es der Menschheit überhaupt möglich, ihre Zukunft zu sichern, wenn sie ihre bisherigen Erfolgskriterien beibehält?“ Denn „was ist die Erfolgsvorstellung der Gegenwart: Beseitigung jener Herrschafts-formen, die uns am Genuss der Güter der Erde hindern.“

Den Kulturentwurf der Wachstums- und Wohlstandsgesellschaft, des homo faber und homo eoconomicus hält Amery für einen unerträglich lebensfeindlichen Kulturentwurf, der uns keine Zukunftsperspektive geben kann. Aber der moderne Mensch mit seiner Ausbildung, mit seinen Erwartungen an beruflicher Karriere, an Einkommenschancen und materieller Selbstverwirklichung ist diesem ökonomistischen Kulturentwurf vollkommen verhaftet. Früher oder später stürzt die Umweltkrise die Menschheit in eine gefährliche Kulturkrise. Sie besteht darin, dass wir als Mensch-heit unsere materiellen Ziele und unsere Erfolgsvorstellungen an die Möglichkeiten der Natur anpassen müssen. Selbstbegrenzung aus Verantwortung für das Überleben der eigenen Spezies, Selbstbeschränkungen der Spezies Mensch, damit die gesamte kreatürliche Mitwelt erhalten bleiben kann, das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Sie stehen im diametralen Gegensatz zu dem modernen Selbstverständnis permanenter Grenzüberwindungen mithilfe von Technologien.

Welche Kultur möchte sich aber selbst in Frage zu stellen? Wenn das allerdings das Gebot der Stunde ist? Dazu muss man sich zuerst mit der eigenen Kulturentwicklung befassen und sich bewusst      machen, welche religiösen, über Jahrhunderte gewachsenen Erwartungen, Ängste, Ziele und Hoffnungen wirksam gewesen sind, dass diese Entwicklung genommen wurde. Nur so kommt man dem heutigen Selbstverständnis in der Wachstumsgesellschaft mit seinen vielen unbewussten geistigen Haltungen auf die Spur.

Wie kein Zweiter vor oder nach ihm hat Carl Amery diese ganz grundsätzlichen Fragen gestellt und äußerst detailliert geprüft, Traditionslinien offengelegt und daraus konsequente Schlussfolgerungen gezogen. Wer sich auf Carl Amery einlässt, dem erwarten lange, intensive, umsichtige, ideologisch und politisch sehr kritische und immer äußerst lohnende Analysen der vorherrschenden Wirtschaftskultur. In seiner sehr bildhaften, kraftvollen Sprache und mit einem Tiefenverständnis für religiöse Wandlungen, ideologischen Positionen und politische Strategien gelangt der Leser in einem engmaschigen Erklärungszusammenhang zu überraschenden Ergebnissen, die Amery mit einer unglaublichen Urteilsfähigkeit präsentiert.

Sie werden entdecken, bei einem intensiven, eben nicht mal schnell überfliegenden Lesen seiner Bücher, wieviel Aufklärung er über uns in der Umweltkrise und im Bewusstsein der Jetzt-Zeit-Kultur leistet: ein Bildungserlebnis jenseits üblicher Umweltdebatten, und immer im Wissen um die kulturellen Aspekte der bevorstehenden Transformation zu nachhaltigen Existenzformen der Menschen, die als konkrete Fragen des Überlebens angegangen werden müssen. Deep Ecology ist das große Thema von Carl Amery.

Im Schumacher-Infobrief 2-2015 finden Sie meinen Artikel über Carl Amery mit dem Titel:
Carl Amery: Werden wir die Probe der Geschichte bestehen? Eine Darstellung seiner Politischen Ökologie